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BERICHT: Alta Rezia - Bernina, Valposchiavo

Freitag, Mär 13, 2009 in Community Immer auf der Suche nach dem Holy-Trail bin ich in Alta Rezia fürs Erste fündig geworden. Doch immer der Reihe nach: Am Anfang stand eine Einladung zu einer ungewöhnlichen Biketour in grandioser landschaftlicher Kulisse, geführt vom mehrfachen Weltmeister und Mister Mountainbike schlechtin, Thomas Frischknecht.
Die Region Alta Rezia, das ist das Herz der Alpen und schließt das Engadin von Zernez über St. Moritz bis nach Maloja ein. Desweiteren das gesamte Gebiet rund um Livigno, Bormio und das Valposchiavo, also das Gebiet um Tirano.

Jeder, der als Biker die Alpen durchkreuzt, weiß, welche tolle Bergkulissen den Alpencrosser hier erwarten. Allerdings sind die klassischen Ziele für einen Bike-Urlaub eher der Gardasee oder Südtirol. Vielleicht muß man aber nach einem Besuch der Region Alta Rezia seinen Trail-Radarschirm neu justieren.

Hier gibt es neben der hochalpinen Berwelt einfach alles was das Bikerherz begehrt. Fast 100 kartographisch und per GPS erfasste Trails, Packages und spezielle Bike-Hotels. Bike-Parks und Events und Shuttles aller Art runden das Bild ab. Das gibt es in anderen Regionen auch - der Unterschied hier: es gibt ein touristisches Gesamtkonzept für eine ganze Region - über Landesgrenzen hinweg.

Wer es gepflegt, gediegen auf gastronomisch höchstem Niveau mag - der wird sein Lager im Engadin vielleicht sogar direkt in St. Moritz aufschlagen - wer es rustikaler, sportlicher und sehr preiswert mag - der logiert vielleicht in Livigno oder in Bormio und streift die anderen Regionen nur auf Tagestouren. Alles ist möglich.

Hört sich doch gut an - ich durfte es als Trail-Scout von BIKE-AID, auf freundliche Einladung von Allegra-Tourismus testen.

Tag 1 - Pontresina-Bernina-Pontresina
Ankunft im Sporthotel in Pontresina, eines der Alta Rezia Bike-Hotels. Einfach toll, die Hoteliers, Nicole und Alexander Pampel sind selbst begeisterte Biker und lieben es Ihre Gäste auf den Trails zu begleiten.

Zum Einrollen fahre ich noch spätnachmittags den Bernina-Paß hinauf auf der Straße. Oben gibts noch schnell eine Portion Pizzoccheri - eine Valtelliner Spezialität aus Buchweizen-Nudeln mit Mangold
Hinunter geht es über flowige Trails, entlang der berühmen Bernina-Bahnlinie der Rhätischen Bahn.

Ich genieße mein Testrad, ein Bergamont Threesome 7.7, ein All-Mountain, welches mir freundlicherwiese von unseren Sponsoren Radwelt Hawner zur Verfügung gestellt wurde. Ein All-Mountain sollte es schon sein, denn die angekündigten Touren haben stellenweise eher Freeride-Charakter. Das Teil ist sehr cool und entspannt zu fahren. Das verstellbare Fahrwerk teste ich bergauf und bergab. Ich staune, daß ich bergauf nur wenig langsamer bin als mit dem Carbon-Hardtail mit dem ich sonst unterwegs bin. Vermutlich liegt das am verstellbaren und voll blockierbaren Fahrwerk.

Bergab stellt sich echter Trail-Spaß ein. 130mm Federweg und die Sitzposition lassen mich über Stufen und Absätze rauschen, bei denen ich sonst eher Gas wegnehmen würde. Das fordert leider nach wenigen Kilometern einen Durchschlag am Hinterreifen, trotz 4 bar und 2,3er Reifen. Ich vergaß, daß ich auf Schläuchen rolle - mit "ohne Schlauch" wär das nicht passiert.

Tag 2 - Pontresina - Bernina - Poschiavo
15 Bikerinnen und Biker, teilweise richtige Prominenz, stehen bereit zur Tour. Mit dabei Thomas Frischknecht (viele der Bilder wurden von ihm selbst aufgenommen) sowie, bekannt durch den kultigen Film "Abenteuer Alpencross" und die Website www.schymik.de die beiden Brüder Carsten und Roland Schymik und der Filmproduzent Sebastian Runschke.

Das Abenteuer erwartet uns. 600HM rollen wir auf Trails, durch Zirben- und Kieferwälder zur Paßhöhe der Bernina. Immer wieder geht es über kleine Brücken und dampfende Wasserfälle - zur Rechten die Kulisse des Morteratsch-Gletschers, Piz Palü und Piz Bernina.

Anstrengende Anstiege waren das - da kommt ein Essen auf der Belvedere-Hütte gerade recht. Die Wirtin scheint Biker zu lieben. Wir sie auch - stellt sie uns doch Riesenschüsseln mit Pasta und drei verschiedenen Saucen auf die Tische.

Atemberaubend ist der Ausblick ins Val Poschiavo. Davon trennt uns nur noch ein schier endloser Trail. Wir überqueren sogar ein Schneefeld - und "Frischi" muß die erste Sondereinlage gehen. Ganz wie in dem Film "AltaRezia Freeride-Tour" wo er zusammen mit Hans Rey der Hauptdarsteller ist, muß er samt Bike das Schneefeld von oben nach unten absurfen. Wir anderen ziehen es vor Frischi zu beklatschen - anstatt selbst womöglich selbst ins Gletscherwasser zu klatschen.

Das Gletscherwasser war es auch, das vor 20-30.000 Jahren die Gletschermühlen von Cavaglia geformt hat. Absolut sehenswert und im übrigen die einzige Stelle bei der unserer Freeride-King-Carsten nicht mit seinem Liteville Bike hinabgesprungen ist. Sogar er zog die Leiter vor.

Der Trail hinunter nach Poschiavo ist ein Traum - viele Serpentinen, stellenweise verblockt und ruppig, stellenweise mit viel Flow. Mehrmals überqueren wir dabei die Bernina-Linie der Rhätischen Bahn und werden von den Zugtouristen wie Außerirdische bestaunt. Kein Wunder, manche unserer Bikes sind spektakulär und sehen fast aus wie Motocross-Maschinen ohne Motor.

Einrollen nach Poschiavo. Man spürt den italienischen Einfluß am Ortsbild. Eine Piazza lädt uns zu Cappucino und Gelato ein - das macht Biker nach einem langen Trail glücklich. Die Bedienung ist nicht so glücklich, daß wir mit 20 Leuten an einem Tisch sitzen ;-)
Ganz in der Nähe mahnt uns eine Gebeinehalle mit hunderten Schädeln darin, daß man bergab auch mal bremsen sollte.

Wir beziehen Quartier in einem derAlta-Rezia Bike-Hotels mitten in Poschiavo. Die kleine Wellblech-Hütte, die als Bike-Keller dient wird rammelvoll als wir unsere Bikes darin verstauen. Paßt genau, mehr hätten es nicht sein dürfen.

Zum Abendessen werden wir über kilometerlange Schotterserpentinen per Postbus zur Alpe Campo auf 2.100m Höhe geshuttelt (oder besser: geschüttelt). Ein idyllisches Alta-Rezia Bike-Hotel inmitten von Alpenrosen-Feldern erwartet uns. Aber es dauert noch etwas mit dem Essen und die Wirtin schlägt uns einen Spaziergang zum nahen Lago di Saoseo vor. Ok - machen wir.
Inmitten von Arven und Lärchenwäldern finden wir den kleinen See, der wie ein kristallklares, kobaltblaues Juwel in der Abendsonne spiegelt. Roland Schymik nimmt ein Bad - so wie die Natur ihn und den See geschaffen hat. Recht hat er - ich hingegen versuche die Eindrücke in Fotopixeln festzuhalten.

Ein mehrgängiges Valtelliner Menü erwartet uns in der gemütlichen Alpe Campo, perfekt serviert von dem freundlichen Hüttenteam und perfekt erklärt von Andrea und Darco, den beiden Allegra Gastgebern, die uns durch Trails und Gastronomie begleiten.
Wir schlagen kräftig zu, denn am nächsten Tag sind Kraft und Konzentration gefordert.

3. Tag Poschiavo - Col d'Anzana - Tirano
"Touren wie den Col d´Anzana erwartet man im Valposchiavo, das von den Bikern bisher kaum beachtet wurde, schlicht und einfach nicht. Trotz der relativ geringen Höhe von 2212 Metern über dem Meer bietet der Col d´Anzana eine faszinierende Abfahrt über rund 1800 Höhenmeter. Über Hochgebirgsweiden zum Col dAnzana beginnt die Grenzlinie zwischen der Schweiz und Italien mit einem fantastischen Panorama, das von der Ortlergruppe bis zu den Bergamasker Alpen reicht. Unendliche Serpentinen führen bergab und versprechen viel Fahrspaß. Auf den letzten 200-300 Höhenmetern gibt es eine reiche Auswahl an Pfaden und Wegen, die durch Obstgärten und Reben nach Tirano hinunterführen."
Das schreibt Carsten Schymik über diesen Trail - und er muß es wissen. Kaum einer kennt mehr Trails und Übergänge in den Alpen.

Für mich ist es der längste und abwechslungsreichste Trail den ich je unter die Stollen bekam. Anspruchsvoll ist er sicher auch. Nicht geeignet für ein Hardtail - man käme herunter, aber es stellt sich kein Flow ein. Bislang habe ich immer darauf verzichtet meinen Sattel in Trails abzusenken. Warum auch - ich bin mehr als 10 Mal ohne Sturz (klopf, klopf, klopf - auf Holz ;-) auf diese Weise über die Alpen gekommen. Ich bin kein Freerider aber stehe auch nicht gerade im Ruf an steilen Stücken abzusteigen. Das hier ist aber eine andere Nummer: Ich hätte nicht gedacht, daß man mit 130mm Fahrwek und abgesenktem Sattel so viel Spaß haben kann. Nun ja, der Horizont erweitert sich ständig - und ich bin schon dabei mir ein All-Mountain zusammenzustellen.

Erste Gedanken über Konfiguration und Setup meines neuen "Trail-Jägers" mache ich mir in Tirano am Bahnhof bei Gelato und Capuccino. Der Bernina-Express transportiert uns über eine spektakuläre Strecke wieder hinauf zur Paßhöhe. Die Zugfahrt dauert fast 2h - und ich verspreche, es wird keine Sekunde langweilig. Die
Bernina-Linie der rhätischen Bahn zieht täglich Gäste aus aller Welt an. Wen wundert es, rollt man doch ständig über Viadukte und Brücken an Gletschern oder Seen entlang, um fast 2.000 Höhenmeter auf dem Weg von Tirano bis zur Bernina-Paßhöhe zu überwinden.

Und wieder wird mein Bewußtsein erweitert: So schön kann es sein auf einer Biketour auch Shuttles zu benutzen. Egal ob es der Postbus ist, der einen ein Stück mitnimmt, das Boot, das uns zum anderen Ufer bringt oder eben Bahn oder Seilbahn. Mehr Landschaft pro Zeit, mehr Entspannung pro Zeit. Wir mümmeln in Panorama-Waggons an unseren Lunch-Paketen und spinnen Biker-Latein.

Auf der Bernina-Paßhöhe verlassen wir den Zug. Bergab haben wir nun doch bessere Möglichkeiten als einen Zug. Zum Beispiel den flüssigen Trail der uns hinunter nach Pontresina bringt. Markus bringt es auf den Punkt: "wer nicht weiß was Flow bedeutet - der sollte einfach mal diesen Trail fahren".

Angekommen in Pontresina bleibt uns nur der Abschied und viele neue Erkenntnisse. Nicht umsonst ist dieser Bericht länger als mancher Bericht eines wochenlanger Alpencrosses. Man erlebt einfach sehr viel auf den Shuttle-Touren in Alta-Rezia.

Danke! ... und weiterhin viel Erfolg an die Gastgeber von
Allegra-Tourismus und an die Guides der Frischi-Bike-School, die uns nicht gezeigt haben was sie können, sondern was wir können ;-)


euer

Scotty