Hochland von Abessinien
Tigray, eine Region, die hierzulande kaum bekannt ist. Sie liegt unmittelbar an der Grenze zu Eritrea, ist tief mit dessen Geschichte verwoben. So sprechen die Menschen die gleiche Sprache, das Tigrinya, was außerhalb von Eritrea und Tigray niemand versteht. Der gemeinsame Ursprung liegt im aksumitischen Reich, dem ersten christlichen Staat Schwarzafrikas, lange vor der Kolonialzeit.
Die Gemeinsamkeiten beziehen sich aber auch auf die Landschaft. Die Region gehört zum Hochland von Abessinien, auf dem auch Asmara, die Hauptstadt Eritreas liegt. Und damit sind wir bei der Höhe von durchschnittlich 2.500 bis 3.500m, welche die Radsportler aus Eritrea und Tigray allesamt zu sehr guten Bergfahrern macht.
Zwar ist die Radsportbegeisterung in Eritrea nicht zu übertreffen, dennoch ist auch in der Region Tigray davon einiges zu spüren. Nicht ohne Grund kommt der einzige äthiopische World Tour Fahrer Tsgabu Grmay aus Mek’ele, der Hauptstadt der Region.
Für das Team BIKE AID war die Teilnahme an der Tour of Tigray, ein Rennen des nationalen Kalenders, die erste Reise nach Äthiopien.
Flucht vor Sturmtief Sabine von Wien nach Addis Ababa
Unser Fahrer Daniel Bichlmann beschreibt die Ankunft in der Höhe so:
„Die Anreise nach Shire lief erstaunlich Reibungslos, dem Sturm Sabine entkommend ging es über Nacht von Wien direkt nach Addis Ababa und dann via Inlandsflug zum Ort des Geschehens in die Region Tigray. Da wir nur eine Nacht zum akklimatisierten hatten (das Rennen startete auf 2000m) war von Anfang an klar, das diese Umstände meinen Kenianischen und ugandischen Teamkollegen wohl deutlich besser entgegenkommen als mir Siegsdorfer (650m) bzw. Wahl Salzburger (450m) und meinen holländischen Kollegen Adne van Engelen (praktisch Meereshöhe, Apartment im dritten Stock in Rotterdam)“.
Auftaktsieg für Suleiman Kangangi
Daniel Bichlmann musste dann auf der ersten Etappe auch gleich am ersten Anstieg reißen lassen und erreichte im Gruppetto das Ziel. Seine Erschöpfung verflog aber schnell, als ihn seine Teamkollegen jubelnd empfingen und vom Etappensieg Suleiman Kangagis berichteten.
Das Gelbe Trikot auf den Schultern, bedeuteten die folgenden Tage vor allem viele zermürbende Kilometer an der Spitze des Feldes. Eine Aufgabe vor allem für Daniel Bichlmann und Adne von Engelen, damit Salim Kipkemboi und Charles Kagimu noch Kräfte für die Berge aufsparen konnten.
Mehrere tausend Höhenmeter durch die zerklüftete Felslandschaft mit Bergwertungen bis 3.100m Höhe waren die tägliche Aufgabe. Soweit es die Erschöpfung irgendwie zuließ, waren gerade unsere europäischen Fahrer jeden Tag aufs neue von der Landschaft beeindruckt. Und spätestens im Ziel verflog der Schmerz beim Bad in der begeisternden Menschenmenge und beim Anblick der unglaublichen Lebendigkeit auf den Straßen, selbst in kleinen Dörfern. Wer Afrika nicht kennt, weiß nicht wie tief dieser Eindruck wirken kann; wie sehr es die Perspektive auf unsere doch recht kühle westliche Welt verändert.
Aus die Träume vom Rundfahrtsieg
Sportlich lief alles nach Plan bis zur vorletzten Etappe. Ein Reifenschaden von Suleiman Kangangi im Gelben Trikot des führenden, sorgte für den Großangriff der Konkurrenz hinein in den Schlussanstieg. Das mag nicht unbedingt den Gepflogenheiten des Fairplay entsprechen, aber im afrikanischen Radsport gelten eigene Gesetzmäßigkeiten. Em Ende verlor Suleiman das Führungstrikot, fiel mit etlichem Zeitrückstand weit zurück und die Enttäuschung stand allen ins Gesicht geschrieben.
So stand das Team mit leeren Händen am Start der letzten Etappe, einem Rundkurs in der Provinzhauptstadt Mek’ele.
Daniel packt seine Rundstreckenkünste aus
Lassen wir dazu noch mal Daniel Bichlmann zu Wort kommen:
„Nichts war wichtiger, als dieses tolle Rennen, diese Woche von unglaublichen Eindrücken gut gelaunt zu beenden.
Seit nunmehr 7Jahren auf vielen Reisen wünsche ich mir ein solides typisches Rundstreckenrennen in einen exotischen Land. Immerhin ist die Rundstrecke bzw. die Kriteriums Szene mein sportlicher Ursprung. Hunderte dieser Rennen habe ich als Nachwuchsfahrer und Amateur bestritten und auch einige davon gewonnen.
Natürlich waren die Beine nicht mehr die besten nach ca. 700km an der Belastungsgrenze in den Tagen davor, aber es war eine Chance für uns alle und eine besondere für mich persönlich.
Wie geplant waren wir in allen Gruppen vertreten und somit nie in der Defensive. Also eine Spitzengruppe mit unseren kenianischen Talent Salim Kipkemboi vom Hauptfeld gestellt wurde, ging ein holländischer Fahrer einer Konkurrierenden Mannschaft in die Offensive. Ich fand den Augenblick vielversprechend und habe mich an sein Hinterrad geheftet.
Ich erinnerte mich an meine eigenen Worte zu meinen Mannschaftskollegen am Abend davor: „wir haben nichts zu verlieren!“ und nahm 25km vor dem Ziel mein Herz in die Hand und griff entschlossen in einer Abfahrt an.
In den Kurven ging ich hohes Risiko und habe mit maximaler Anstrengung schnell einen 30 sekündlichen Vorsprung auf meine ersten Verfolger herausfahren können, die schon bald wieder vom Hauptfeld geschluckt wurden. Wohlwissend, das ich so eine Chance nur alle paar Jahre bekomme.
Nach einer guten halbe Stunde im tiefroten Bereich fuhr ich überglücklich als Solist über die Ziellinie in Mekkele!!! Wir fielen uns freudig in die Arme, diesen Moment genoss ich umringt von tausenden Zuschauern voll aus. Wohlwissend das sich schon bald wieder alle Anstrengungen auf den Erfolg des Teams konzentrieren werden“.
Faszination Radsport rund um den Globus
Für unser Team wieder aufs neue eine Entdeckung eines Landes, in dem sich die Faszination Radsport auf ganz besondere Weiße erleben lässt. Wo Menschen aus gänzlich anderen Kulturen den Radsport feiern und dieser als Brücke zur Begegnung unterschiedlichster Menschen dient.
Die holländische Fotografie Studentin Mirre Korevaar - Wijnja begleitete BIKE AID bei der Rundfahrt in Äthiopien und hat das Geschehen in wunderbaren Bildern festgehalten, die auch hoffentlich unsere Leser inspirieren.