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Mama Africa – Eine kleine Reisegeschichte

Donnerstag, Jul 19, 2012 in Pro Cycling

Eine besondere Reise, eine enorme sportliche Herausforderung und eine hohe Anerkennung für unser Team bot die Einladung zur Tour de Free State in Südafrika.
Wenige Wochen vor dem Rennen kam eine Email unseres Freundes Andrew Smith aus Südafrika „Habt ihr nicht Lust an der Rundfahrt teilzunehmen, wir hätten noch einen Platz“. Na klar, das lassen wir uns doch nicht entgehen. Die Tour de Free State im gleichnamigen Bundessaat Südafrikas, ein Rennen der UCI Kategorie 2.1. Damit das sportlich Größte, was wir als Bundesliga Elite Team fahren können. Also Flüge gebucht und ab ging´s. Im Gepäck Désirée Schuler, Ariane Horbach, Janina Brückner und Christine Kovelter. Vor Ort bekamen wir noch Verstärkung durch die Südafrikanerin Annemie Kruger sowie die ehemalige schwedische Meisterin Jennie Sternerhag.
 
Landung in Johannesburg, totmüde und über 400km geradeaus auf dem Highway Richtung einer Stadt namens Bloemfontein. Was Geradeaus hier bedeutet, ist etwas anderes wie bei uns. Es bedeutet wirklich geradeaus, im Nichts, keine Abwechslung an der Strecke, immer die gleiche Landschaft, keine Kurven und die nächsten X Kilometer immer auf Sicht. In Bloemfontein angekommen versuchten wir uns Sonntagabend etwas zu Essen zu organisieren und landeten in einem Treiben aus Gottesdienst und Markt auf der Straße in einem etwas dubios wirkenden Viertel. Eine Frau der Tourismusinformation markierte uns dieses Viertel am nächsten Tag mit den Worten „don´t go there, it´s a dangerous area“. Am nächsten Tag erkundeten wir die Gegend etwas mit dem Rad und als naive Südafrikaneulinge waren wir natürlich vor allem auf der Suche nach Wildtieren. Wir sichteten eine Gruppe der Spezies Vogel Strauß, die mitten auf der Straße spazieren gingen. Als Tourist braucht man ein Beweisfoto und so fuhren wir mit den Rädern dicht neben den Vögel her. Als wir Tage später die Fotos stolz zeigten, bekamen wir erneut eine klare Ansage: „Wenn die Vögel sauer werden seit ihr in Todesgefahr, die beißen euch direkt in die Halsschlagader, haltet euch fern“. OK, es gab noch viele weitere Hinweise, dass es hier etwas anders war als bei uns, wir hatten es nun verstanden.
 
Wir hatten zwei Tage zum akklimatisieren, dann gingen die Rennen los. Die Südafrikaner haben ein paar sehr gute internationale Fahrerinnen, die alle gerne zu Olympia möchten. So entschied man sich die Rundfahrt auszurichten, damit die einheimischen Fahrerinnen möglichst zu mehr Weltranglistenpunkte kommen, was wiederum die Anzahl der Startplätze im Olympia Rennen beeinflusst. Am Start waren Fahrerinnen und Teams aus der ganzen Welt. Neben prominenten Fahrerinnen wie z.B. Emma Johannson (Schweden), Olga Zabelinskaya (Russland) oder Hanka Kupfernagel (Deutschland) ist vor allem der Start der Nationalmahnschaft von Eritrea erwähnenswert. Radsport und Eritrea? In Eritrea ist Radsport die populärste Sportart schlechthin, was sich aus der Zeit der italienischen Kolonialzeit entwickelt hat. Allerdings sind die Rechte der Frauen in Eritrea sehr eingeschränkt. Es bedurfte größter sportpolitischer Anstrengungen, dass das Frauenteam nach Südafrika reisen durfte. Erstmals war damit ein Frauen Team bei einem Radrennen außerhalb der Landesgrenzen unterwegs, ein bewegender Moment für die Sportlerinnen.
 
Das Rennen wurde mit großem Aufwand organisiert und neben der Begeisterung der Einheimischen war für unsere Fahrerinnen die Begleitung des Rennens durch einen Helikopter des Südafrikanischen Fernsehens eine neue Erfahrung. Die ersten beiden Etappen waren allerdings eine regelrechte Quälerei für den Kopf. Da denkt man, eine Flachetappe ist an sich schon mal einfacher, da man sich nicht am Hinterrad der Profis über irgendwelche Berge quälen muss. Aber nach diesen beiden Etappen freuten sich unsere Fahrerinnen so sehr auf Berge wie selten zuvor. Denn es ging einfach geradeaus. Was das bedeutet haben wir oben bereits erwähnt. Teilweise sah man die Straße für die nächsten 20 bis 50km. Rechts und links der Straße eine öde Steppenlandschaft. Das dies selbst in einem Weltklasse Feld nicht zu einem offensivem Rennen animiert, ist nachvollziehbar. Anstelle eines Sportlichen Leiters hätte man einen Psychologen im Auto gebraucht. Denn selbst wenn sich eine Fahrerin zu einer erfolgreichen Attacke überwinden könnte, sie würde kurz darauf unter Depressionen leiden und freiwillig ins Feld zurück kommen. Alleine gegen den Wind mit dem Blick auf eine nie enden wollende Straße und egal wie groß der Vorsprung auch würde, weiter im Blickfeld der Verfolgerinnen. So war es schwer für die Fahrerinnen sich über die ganze Etappe hinweg zu konzentrieren und es kam immer wieder zu schweren stürzen. Erst gegen Ende, als man das Ziel praktisch sehen konnte, drehten die Profis etwas am Gashahn und sorgten auf der Windkante dafür, dass das Feld in mehrere Stücke zerfiel. Unsere Sportlerinnen verteilten sich in den verschiedenen Gruppen, erreichten aber alle das Ziel. Annemie Kruger wurde allerdings früh in einen Sturz verwickelt und quälte sich unter Schmerzen weit hinter dem Feld alleine und völlig erschöpft ins Ziel.
 
Auf der 3. Etappe wurde die Landschaft allmählich interessanter. Untergebracht waren wir in einem luxuriösen Hotel im Golden Gate Highlands National Park. Der Park bot mit seinen roten Sandsteinfelsen auf rund 2.000m Höhe eine imposante Landschaft. Zwar gab es auch auf dieser Etappe wieder etliche „Überführungsstücke“, aber es gab erste Anstiege und im Blickfeld waren die Gipfel der Berge. Das Highlight der Rundfahrt bot allerdings die Schlussetappe. Nach einem Einrollen führte die Strecke mitten durch den Nationalpark. In den Tagen zuvor hörte man immer wieder von einem unglaublich steilen Anstieg. Auf der Hauptroute durch den Park ging es zunächst 6km bergauf und dann in eine kurze und schnelle Abfahrt. Die meisten im Feld, wie auch wir, dachten damit wäre der größte Anstieg geschafft. Als aber die Streckenposten panisch winkten, um die Fahrerinnen bei rund 80km/h abzubremsen, sah man einen ganz kleinen Weg in den Himmel führen. Nicht wenige bekamen einen ordentlichen Schreck, so steil ging die Straße nach oben. Die Etappe führte auf den höchsten zu befahrenden Punkt im Park, was den Fotografen und Zuschauern eine gigantische Kulisse bot, den Fahrerinnen aber alles abverlangte. Unsere Mädels konnten natürlich nicht ganz vorne mit der Weltspitze mithalten. Dort kämpfte Emma Johannson erfolgreich um den Gesamtsieg der Rundfahrt. Bis auf die gestürzte Annemie Kruger erreichten aber alle BIKE-AID Fahrerinnen das Ziel, was für uns in Anbetracht der Klasse des Rennens absolut ein Erfolg ist. Jennie Sternerhag und Désirée Schuler beendeten die Rundfahrt auf den Plätzen 28 und 35. Ariane Horbach wurde 45., Christine Kovelter 56. und Janina Brückner 57.
 
Nach dem Rennen wollten wir noch etwas mehr vom Land sehen und begaben uns auf eine kleine Bergtour. Nicht weit vom Nationalpark befinden sich die Drakensberge, welche sich über das kleine Königreich Lesotho erstrecken und UNESCO Weltnaturerbe und Weltkulturerbe sind. Der Weg dorthin führt uns zunächst mit dem Auto durch Phuthaditjhaba. Die Stadt ist ein riesiges Town Ship, welches sich weit über die Berge zieht. Überall Menschen und Tiere auf der Straße, Rauchschwaden von Fabrikschornsteinen und den kleinen Holzöfen in den Hütten. Eine skurrile Szenerie weit ab vom Tourismus. Mit Müh und Not finden wir den Weg hinauf zum Weltkulturerbe. Letztlich fahren wir auf einer Schotterstraße mitten im Hochgebirge, die dem Auto das maximal Mögliche abverlangt. Touristen dürften sich auf eigene Faust sicher nur ganz selten hier hin verlaufen. Hier müsste man mal eine MTB Tour machen, denken wir uns. Wir parken das Auto an einer Station der Bergwacht und wandern in Begleitung von einem Militär Trupp hinauf in die Berge. Ob die mit Maschinengewehren bewaffneten Soldaten eher eine Gefahr oder ein Schutz für uns bieten ist uns nicht so ganz klar. Unser Weg führt uns hinauf zum Mont-Aux-Sources, eines der landschaftlichen Highlights Afrikas. Auf einer Höhe von etwa 3.000m bietet eine Felsformation über 8km ein natürliches Amphitheater. Man steht auf einer Hochlandschaft und an der Kante fallen die Felsen 1.000m senkrecht in die Tiefe. In der Regenzeit bilden sich Wasserfälle und man hat einen unglaublichen Blick über die Berge. Zurück am Auto freuen wir uns über einen gelungen Ausflug und fahren dem Sonnenuntergang entgegen zurück ins Tal.
 
Ariane, Christine und Janina flogen von Johannesburg zurück nach Frankfurt während Désirée und Matthias noch einen Abstecher nach Kapstadt und Stellenbosch unternahmen. Unsere Gastfahrerinnen sowie Andrew Smith sind hier zu Hause. Die Region am Kap ist ein Traumdomizil für Radsportler. Triathleten wie Jan Frodeno bereiten sich hier seit Jahren auf die Saison vor. Die Cape Argus Tour ist mit 35.000 Teilnehmern das größte Radrennen der Welt. Wir konnten einige Ausfahrten auf den Traumrouten rund ums Kap unternehmen und waren begeistert. Stellenbosch wird von seinen Einwohnern nicht zu Unrecht als einer der schönsten Flecken der Erde bezeichnet. Eine der besten Weingegenden der Welt, Berge, Sonne, Meer. Den Menschen hier geht es gut. Geht man durch die Stadt, fühlt man sich wie in St. Tropez. Schöne Menschen, teure Autos, bombastische Villen. Der Lebensstandard scheint weit über dem deutschen Durchschnitt zu liegen. Der Schein trügt allerdings. Zwar hat sich in Südafrika seit dem Ende der Apartheid viel zum Besseren gewendet. Aber die Kluft zwischen Arm und Reich, Weiß und Schwarz wirkt auf uns unüberwindbar. Zwar gehört die politische Macht dem ANC, der allerdings tief in Korruption und interne Machtkämpfe versunken ist. Der Reichtum scheint sich aber weiter auf der anderen Seite zu bündeln. Die Weißen verbarrikadieren sich mit ihrem Reichtum mit größtem Aufwand in Festungen. Viele Wohnblocks sind abgeschirmt wie ein Gefängnis und man kommt nur mit Ausweiskontrolle durch ein Gate zu seinem Wohnhaus. In den Randgebieten bilden sich die Townships, wo Menschen in einfachsten Verhältnissen, dicht gedrängt in Armut und Kriminalität zusammen leben. Auf uns wirkt es so, als hätte man sich damit arrangiert und trotz Überwindung der Apartheid scheint die gegenseitige Skepsis ein Naturgesetz.
 
Allerdings gibt es viele Projekte, die gute Arbeit in den Townships leisten. Aus BIKE-AID Sicht sehr erfreulich, wie sich viele Radsport Teams und Vereine sozial engagieren. In Südafrika hat sich in den letzten Jahren ein regelrechter Boom an MTB Etappenrennen entwickelt. Das bekannteste davon ist sicher die Cape Epic. Aber es gibt hier wirklich viele solcher Rennen. Somit zieht es auch mehr und mehr Mountainbiker aus der ganzen Welt nach Südafrika. Der Schweizer Weltklasse Mountainbiker Christoph Sauser ist regelmäßig am Start solcher Rennen und absolviert sein Trainingslager in Stellenbosch. Er hat im Township Kayamandi gemeinsam mit dem Einheimischen Songo Fipaza eine Aktion ins Leben gerufen, die Radsport als Mittel zum Zweck nutzt, die Situation für Kinder und Jugendliche zu verbessern.  Christoph Sauser veranstaltete mit seinen Freunden ein MTB Rennen mitten durch die schmalen Wege zwischen den Hütten. Die Jugend war so begeistert, dass in Kayamandi eine BMX Bahn gebaut wurde, 100 BMX Bikes, 25 MTB´s und 10 Rennräder organisiert wurden, regelmäßig 80 Kinder am Training teilnehmen, davon etwa 30 täglich und diese gemeinsam zu Wettkämpfen im ganzen Land reisen. Vielleicht ein Anreiz zukünftig auch ein BIKE-AID Race in einem Township zu organisieren oder sich an einem solchen Projekt zu beteiligen?
 
Vielen Dank an Andrew Smith für die top Betreuung und an cyclenation.co.za für die Fotos!
 
 
 
Wer sich noch etwas mit der politisch-, sozialen Situation aus Sicht von Stundenten beschäftigen möchte: