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MTB Reisebericht: Patagonien, das große, grandiose Nichts

Donnerstag, Nov 12, 2015 in Community

Geographisch versteht man unter Patagonien den Teil Südamerikas, der sich südlich des Rio Colorado erstreckt. Die Topographie ist entlang der Nord-Südachse zweigeteilt. Im schmäleren westlichen Teil, der hauptsächlich zu Chile gehört, überwiegt gebirgiger Regenwald. Es gibt zwei riesige vergletscherte Hochebenen deren Gletscherströme bis zum Meeresspiegel herab reichen. Als Rest der eiszeitlichen Vergletscherung des gesamten Gebietes ist die in der ganzen Länge von unzähligen, zum Teil sehr großen Seen durchsetzt. Dazwischen durchziehen breite Flusstäler gigantische Bergketten mit Abertausenden von namenlosen, aber auch etlichen weltbekannten Gipfeln das Land. Dies ist das Patagonien, von dem man üblicherweise träumt.

Zürich - Madrid - Buenos-Aires – Bariloche
Zwölf Bike-Verrückte wollten einmal den patagonischen Sommer erleben. Unser Treffpunkt war der Flughafen Zürich-Kloten. Bis zum Abflug mussten wir uns allerdings noch etwas gedulden. Die tiefen Temperaturen und einige Zentimeter Schnee auf den Start- und Landebahnen brachten den gesamten Flugplan durcheinander. Mit zweistündiger Verspätung flogen wir über Madrid nach Buenos Aires. Unsere Guides Regi & Mauri holten uns am Flughafen ab. Auf der Fahrt zum Inlandsflughafen erhaschten wir die ersten Blicke auf diese riesige Stadt. Wir flogen weiter in Richtung Patagonien, nach Bariloche einem bekannten Wintersportgebiet am Nahuel Huapi See. Dort genossen wir die warmen Sonnenstrahlen und die von unseren Schweizer Bike Kollegen mitgebrachten feinen Schoggicreationen. Am späteren Nachmittag brachte uns ein gescharterte Bus nach Vila la Angostura, dem Ausgangspunkt unserer dreiwöchigen Patagonien-Biketour. Nach dem Zusammenbau unserer eigenen Bikes sowie einem ausgiebigen Abendessen sanken wir nach der 24-stündigen Anreise todmüde ins Bett.
Endlich ging`s los!

Die Einstiegsetappe war technisch anspruchsvoll, aber dafür entschädigte uns der Blick auf den wunderschönen See. Am Ende der Halbinsel am Nahuel Huapi See erkundeten wir den einzigarti-gen Myrtenwald. Die Bäume sind zum Teil fast 300 Jahre alt. Am Nachmittag, nach einer stärken-den Suppe und einem kurzen Bustransfer, lernten wir zum ersten Mal die patagonischen Schotter- und Wellblechpisten kennen. Die Strecke führte uns entlang der malerischen Sieben-Seen-Route mit undurchdringlichen Urwäldern, glasklaren Wasserfällen und verschiedenfarbigen Seen. Durch-geschüttelt trafen wir gegen Abend in San Martin de Los Andes ein. Der örtliche Bikeshop und ein argentinisches Steak House zogen uns magisch an.

Über die Andenkette nach Chile
In Junin de los Andes besuchten wir erst einmal eine im gothischen Stil erbaute indiokatholische Mapuche Kirche mit vielen eindrucksvollen Symbolen, welche ganz im Zeichen der Versöhnung zwischen den Indios und den Spaniern stehen.
Von der patagonischen Steppe ging´s hinauf zu den Araukarienwäldern am Fuße des Vulkans Lanin. Mit seinen 3747 m zählt er zu den schönsten und höchsten Vulkanen der Welt. Der Grenzübertritt zu Chile gleicht einer filmreifen Szene. Damit uns bewusst wurde, wie viele Kilos Gepäck wir mitführten, wurde jede Tasche gescannt, um dann wieder in unserem Bus verstaut zu werden. Nach der steilen und sehr schottrigen Abfahrt erreichten wir unser romantisches Nachtlager. Es war eine einfache, zweckmäßige Hütte (Cabanas) am Fluss, die uns ein Dach über dem Kopf bot. Am frühen Morgen ging es auf der schnellen Schotterpiste dem Fluss entlang, vorbei an grünen, saftigen Kuhweiden bis ins Städtchen Pucon. Dort besuchten wir das Mapuche-Zentrum. Im Anschluss an die interessante Führung durch das Museum bekamen wir ein original Mapuche-Mittagessen serviert.
Nach einigen Kilometern mit Gegenwind und happigen Aufstiegen, vorbei an einem sensationellen Wasserfall, genossen wir bald ein entspannendes heißes Bad in der Herberge Hostal Termas de Palguin.

Mystische Araukarienwälder
Die nächste Etappe war kurz, technisch und konditionell aber sehr anspruchsvoll. Sie führte uns durch mystische Araukarienwälder bis hinauf zur Passhöhe zwischen zwei Vulkanen. Nach einer abenteuerlichen Abfahrt und wieder im freien Gelände trübten Wolken den tiefblauen Himmel. Es war aber kein Gewitter im Anzug, sondern der Vulkan machte uns mit einer kleinen Eruption seine Aufwartung. In den Las Thermas Geometricas verbrachten wir die Mittagspause. Die verschiedenen Becken boten uns mit Temperaturen zwischen 39° und 42° C relaxen pur. Aber nicht nur die Thermen, sondern die gesamte Architektur, welche im harmonischen Verbund mit der Natur stand, sowie der feine Apfelkuchen erfüllten unsere Sinne. Auf der Abfahrt zum Lago Calafquen in Richtung Süden trafen wir am Abend bei Armin ein, einem ausgewanderten Schweizer und seiner chilenischen Ehefrau. Das typisch chilenische Essen und endlich ein richtig gutes Bett tat uns allen gut.

Königsetappe des Nordens.
Die heutige Strecke führte uns entlang des Lago Uanquihue (69 m.ü.M.) durch Urwälder und karge Vulkanlandschaften bis auf halbe Höhe des Vulkans Orsorno mit seinen 2652 m. Das Wetter war einmal mehr fantastisch, wie auch der Ausblick auf den Vulkan und die umliegenden Berge.
Auf den halsbrecherischen Singletrails mit 180 Grad Sicht auf den See Todos los Santos surften wir dem Tal entgegen. Die Abfahrt durch den Lavasand war technisch sehr anspruchsvoll. Wenn man den Bogen einmal raus hatte, war es, wie ein Bike-Kollege sagte, wie Ski fahren im Tiefschnee - einfach genial! Danach besuchten wir einen See, der vor Jahren durch einen Vulkanausbruch geteilt wurde und dem dadurch traumhafte Wasserfälle ihre Entstehung verdanken. Das Hotel de Ensena-das, eine alte Villa, die jetzt ein Museum der besonderen Art ist, zeigt die Geschichte der deutschen Einwanderer der Jahrhundertwende. Der Empfang, die Aufenthaltsräume, der Speisesaal - überall Antiquitäten wohin das Auge reicht. Mit Blick auf den Osorno Vulkan genossen wir bei Sonnen-untergang den obligatorichen Umtrunk “Apero mit Pisco-Sour“ am See.

Weihnachten am nördlichsten Fjord Chiles
Ein Tag zum Genießen. Nun ging es zu dem nördlichsten Fjords Chiles. Wir fuhren entlang der Küste bis ins verträumte, malerische Dörfchen Cochamo. Die Besitzerin des einzigen Hotels vor Ort Senora Paulina servierte uns einen sagenhaft leckeren pochierten Lachs. Weiter ging es den Fjord entlang bis die Straße im See mündete. Kaum zu glauben, dass uns hier eine Fähre aufnehmen sollte. Die Crew auf der Fähre ließ sich dann zu einem kurzen Umweg bewegen, so konnten wir die auf einem Felsen schlafenden Seelöwen bewundern. Heiligabend feierten wir mit einem späten Festessen im Jachtclub von Puerto Montt. Am ersten Weihnachtstag war Ausschlafen angesagt. Später besuchten wir den Fischmarkt, wo eine landestypische Muschelsuppe und ein kühles regionales Bier auf uns warteten.

Flug nach Süden und Gletscher San Rafael
Am Vormittag flogen wir mit der nationalen Airline in den Süden nach Cohaique. Der Bus mit den Bikes war bereits seit Sonntag teils auf dem Landweg und teils mit der Fähre in Richtung Süden unterwegs. Je südlicher, desto rauer und kühler wurde es, doch wir erlebten den Süden bei tief-blauem Himmel. Am Nachmittag charterten wir ein Kleinflugzeug und flogen über Seen, Flüsse, Berge zu dem gigantischen nördlichen Eisfeld des Gletschers San Rafael. Ein sehr eindrucksvolles Erlebnis. Weiter ging´s mit beeindruckenden Wolkenbildern. Wir verluden unser Gepäck auf einen kleinen 4 x 4 Geländewagen und fuhren auf einem einsamen Weg, vorbei an türkisfarbenen Seen und Wind gegerbten Gauchos zum Lago Tamago. Fernab der Zivilisation gab uns eine einfache, aber romantische Hütte Unterkunft. An diesem schönen Ort wären wir gerne länger geblieben. Das Abendessen erlebten wir in bester Gaucho-Manier, mit einem über einer Feuerstelle knusprig gebratener Ziege.

Durch die Aschenpisten eines Vulkanausbruchs.
Bald schon verließen wir das Kleinod am See und bikten auf der sehr coupierten Schotterpiste mit vielen giftigen Steigungen und schnellen Abfahrten zur Carretera Austal. Die Gegend entlang des Rio Ibanez ist seit 1991 geprägt durch einen verheerenden Vulkanausbruch. Zeugen davon sind tote Baumlandschaften, meterhohe Vulkan-Aschehaufen und schnelle Aschenabfahrtspiste. Auf den letzten 15 km stemmte sich allerdings der starke Gegenwind unserer flotten Fahrt entgegen. Diese Nacht zelteten wir am Rio Ibanez. Das Rauschen des nahen Wasserfalls ließ uns schnell in einen tiefen Schlaf versinken.

Carretera Austral
Die wichtigste Nord-Süd- Verbindungsstraße auf der chilenischen Seite ist die Carretera Austral. Dieser folgten wir gen Süden teils auf Schotterbelag, teils auf Lavasand bis zum Lago General Carrera. Der größte und auch schönste See Patagoniens ist landschaftlich eindrucksvoll und verzauberte uns mit seinem Farbenspiel bis ins Dörfchen Puerto Tranquilo. Am nächsten Morgen fuhren wir bei tiefblauem Himmel mit dem Motorboot zu den farbenprächtigen Marmorhöhlen. Wind, Wetter und Wellen haben diese einmalige Naturschönheit geschaffen. Im Winter sind die Höhlen durch den rund 1,5 Meter tieferen Pegelstand zu Fuß begehbar. Am Nachmittag fuhren wir weiter an dem malerischen Ufer des Lago General Carrera entlang. Beim Rio Leon wurde das Gepäck abermals in ein 4x4 Geländefahrzeug verladen. Nun folgten wir dem Fluss auf zum Teil sehr sandigen Pisten in ein kleines Seitental. Bei der einfachen Farm von Leon Marcelo, einem Junggesellen, der wie er sagte, noch eine Ehefrau sucht, wird am Fluß campiert.

Sylvester mit Fels, Eis und Gletscher
Am nächsten Morgen stand entweder Trekking oder Reiten auf dem Programm. Ich wagte es,  mich der Reitergruppe zum Lago Leon anzuschließen. Der Ausritt dauerte fast 6 Stunden - Muskelkater war vorprogrammiert. Obwohl wir wussten, dass Tage vorher ein Puma gesichtet wurde - uns wollte der Puma sich an diesem Tage nicht zeigen. Am Nachmittag ging´s dann zurück zur Carretera Austral. Mit etwas weniger Luft in den Pneus rauschten wir über tief sandige Pisten in Richtung See. Im stetigen Auf und Ab dem See entlang fuhren wir nach Puerto Guadal - ein verlassenes Kleinod am See. In der idylischen Lodge El Mirador de Playa Guadal feiern wir am offenen Feuer Sylvester. Am nächsten Morgen regnete es zum ersten Mal - für 30 Minuten! Ist aber für diese Region sehr atypisch. Die Einwohner beklagten sich über die Wärme und über den ausbleibenden Regen - wir nicht! Wir genossen den Tag in unserer gemütlichen Lodge mit Blick auf den See und die umliegenden Berge.

Königsetappe Paso de las Llaves
Ein Bike-Leckerbissen der besonderen Art. 110 Kilometer auf ruppigen und kupierten Schotter- und Wellblechpisten. Die Straße kletterte immer wieder vom Seeniveau auf eine felsige, baumlose Hochebene hinauf, um dann wieder steil auf Seeniveau zu fallen. Am Passo des las Llaves musste, um diese Straße überhaupt möglich werden zu lassen, sogar 30 km aus dem Fels gesprengt werden. Dank des schönen Wetters waren die Aussicht und das Panorama grandios. Auf den letzten 10 km wurde es fast gemütlich. Ein guter Weg und eine schöne Abfahrt brachten uns ins kleine Städtchen Chile Chico. Dort trafen wir auf eine Gruppe junger Bike-Boys, die unsere Räder genaustens inspi-zierten. Am gleichen Tag noch überqueren wir die Grenze nach Argentinien. Im Gegensatz zu Chile ist die Landschaft endlos weit, extrem trocken und karg - auch bekannt - als die patagonische Steppe.
"Es ist meilenweit nichts, aber es ist gut durchgelüftet" , so die Worte von Bruce Chatwin, der sehr Interessantes über Patagonien geschrieben hat.
Die Roller-Etappe auf Asphalt war nach den endlosen Kilometern auf Schotter- und Wellblechpisten ein Genuss. Unterwegs verabschiedeten wir uns vom Lago General Carrera. An unserem nächsten Ziel Perito Moreno gab´s dann zum Mittag feine Pizzen und gefüllte Teigtaschen! Auf der berüch-tigten Ruta 40 - der Traumstraße Argentiniens - rollten wir zur einsamen Estancia Los Toldes. Die riesige Kuh-und Pferdefarm umfasst 45000 ha. Zu unserer Überraschung wurden wir auf dieser Farm mit einem kreativen und ausgezeichneten Abendessen verwöhnt. Javier, der Küchenchef, war ein Sterne-Koch in Buenos Aires, der das Leben auf einer Farm der hektischen Großstadt vorgezogen hat – zu unserem Glück.

Uralte Höhlenmalereien in Cuevas de las Manos
Zum Abschluss noch einmal ein landschaftlicher Hochgenuss! Auf der kurzen, aber rustikalen Strecke zu den Höhlen begegneten wir wilden Pferden, Hasen, Gürteltieren, einem Wüstenfuchs und Herden von Guanacos. Die Cuevas de las Manos befinden sich in einem mystischen Canon. Sie zählen zum UNESCO Weltkulturerbe - die Natur steht im Vordergrund, 829 rote, gelbe, weiße und ockerfarbene Abbilder von Menschen, Tieren, Symbolen und überwiegend Hände leuchteten uns von den gewaltigen Felsdächern und Wänden entgegen. Experten zählen sie zu den interessantesten Höhlenmalereien Südamerikas, die zum Teil bis zu 10000 Jahren alt sind.
Mit einer kreativen Vorspeise und hausgemachter Pasta an Steinpilzrahmsauce genossen wir den letzten Abend in Patagonien. Es war ein sehr leckeres Abendessen. Am nächsten Morgen hieß es früh aufstehen und Abschied nehmen von der einsamen Estancia Los Toldos. Nach über 6 Stunden Fahrt trafen wir in Comodoro Rivadavia ein, wo wir den Flieger nach Buenos-Aires bestiegen.

Buenos Aires
Wieder zurück in der Zivilisation. Die “Alte Dame“, wie Buenos Aires liebevoll genannt wird, lud ein, durch die Straßen mit dem südländischen Flair zu radeln oder es zu Fuß zu erkunden. Am nächsten Morgen ließen wir uns auf Beach-Cruser-Velos Teile der riesigen Stadt mit ihren vielen Sehenswürdigkeiten zeigen. Den letzten Abend verbrachten wir beim obligatorischen Steak und einer sehr “touristischen“ Tango-Shows. Die böse Überraschung folgte am Flughafen: der Flug war mehr als überbucht und nur vier Gruppenmitglieder konnten die geplante Rückreise antreten. Dann waren´s nur noch 8 Biker, die eine zusätzliche Nacht auf Kosten der Airline in B.A. verbringen durften. Mit rund zwanzig stündiger Verspätung inklusive Abstecher nach Paris, trafen wir in Zürich ein - Thermoschock inklusive. Mein Bike lag auf dem Transportband, aber mein Koffer, der auf dem Heimflug abhanden gekommen war, wurde mir erst 8 Tage später, nach Hause gebracht. Dies hat aber unsere Bike-Tour in keinster Weise getrübt.

Patagonien zu erleben und das mit dem Mountainbike …..was gibt es Schöneres.

Gruß Gerd